Interaktive Medienobjekte

Tau Memory
Die Oberfläche gehört allen
Videoschlitz
Marilyn

Tau Memory

von Lilo Mangelsdorff und Wolfgang Schemmert
1988, interaktive Computerinstallation

Closed-Loop Installation, die den Zerfall eines Videobildes in einem unendlichen Kopierprozeß zum Thema hat. Eine Kamera filmt den Monitor ab. Mit Hilfe zweier älterer Videorecorder mit offenen Spulen, einer Bandschleife und eines elektromechanischen Synchronisationsreglers wird ihr Videosignal um circa 20 Sekunden verzögert, mit einem computergesteuerten Schrift- und Grafikgenerator gemischt und wieder auf dem Monitor abgebildet. Die Besucher der Installation treten beim Betrachten des Monitorbildes unwillkürlich in das Bildfeld der Kamera und werden somit in den Zerfallsprozeß einbezogen. Die Auswahl der eingeblendeten Texte regt an zur meditierenden Betrachtung.

Galerie Werth, Frankfurt


Die Oberfläche gehört allen

von Wolfgang Schemmert
1990, interaktive Computerinstallation

In einer Gesellschaft, deren Kommunikation auf dem Austausch von Bildern beruht, wäre die freie Benutzung aller öffentlich sichtbaren Oberflächen für SprayerInnen, PlakateurInnen, ProjekteurInnen eine demokratische Grundforderung. Das impliziert, daß jeder Dilettant Meisterwerke vernichten kann und darf. Die Videoinstallation soll diese These - auch in ihrer Widersprüchlichkeit - zur praktischen Diskussion stellen. Eine ursprünglich von mir als "Autor und Besitzer" gestaltete Oberfläche wird öffentlich in einem visuellen Dialog fortgeschrieben.
Ein Amiga 500 mit Videomonitor projiziert eine Folge digitalisierter Standbilder. Besucher der Installation haben die Möglichkeit, mit einem Lichtgriffel direkt auf dem Monitor in das projizierte Bild hinein zu malen, es zu kommentieren. Die veränderten Bilder speichern sich auf die Festplatte zurück und werden zukünftig anstelle der vorgegebenen Bilder projiziert. Damit ist die Installation auch ein kommunikations- soziologisches Experiment zur Erkundung des dynamischen Gleichgewichts zwischen der Zerstörung alter und der Entstehung neuer grafischer Schichten: kristallisieren sich Bildanordnungen heraus, die einen öffentlichen Angriff überleben, weil sie allgemeine Akzeptanz genießen ?

Freiburger Videoforum
Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest
Frankfurter Filmschau


Videoschlitz

von Wolfgang Schemmert
1991/92, interaktive Computerinstallation

Katalogtext Osnabrück 1991:
Die Installation ist die elektronische Realisation einer Zielkamera. Das Monitorbild ist das visuelle Protokoll der Raum-Zeit-Tragödie auf der Zielline. Das bewußte Mitspielen in dieser künstlichen Raumanordnung wird erst möglich durch das video-optische Feedback.

Eine bei Sportereignissen eingesetzte fotografische Zielkamera funktioniert anders als eine übliche Kamera: Statt eines Zeit-Verschlusses hat sie einen schmalen senkrechten Schlitz, durch den das Licht auf den mit kontinuierlicher Geschwindigkeit transportierten Film fällt. Es wird also niemals eine zweidimensionale Filmfläche belichtet, sondern es werden sozusagen viele eindimensionale Raum-Zeit-Ausschnitte zu einem Gesamtbild in der zweiten Dimension aneinandergefügt.

Genau diesen Schlitzeffekt erzeuge ich mit VideoComputer-technischen Mitteln: Ein speziell konstruierter Videobild-Digitizer überträgt von dem eingespeisten Video-Kamerabild nur die in der Mitte des Bildfeldes gelegene Pixel-Spalte auf den rechten Rand des Computerbildschirms - 50 mal in der Sekunde. Zugleich wird das vorher angezeigte Bild um eine Spalte nach links geschoben (siehe Skizze). Dadurch entsteht auf dem Bildschirm der visuelle Eindruck eines kontinuierlich von rechts nach links laufenden Bildbandes.

Anders als bei der konventionellen Fotografie wird nur Bewegug scharf abgebildet (vor allem Bewegung in horizontaler Richtung), Ruhe dagegen verzerrt zu konturlosen Bändern.
"virtual reality" einmal anders: Mimische Selbsterfahrung im nichtkarthesischen Raum.

"Eine in ihrer Einfachheit verblüffende Installation gelang dem Offenbacher Wolfgang Schemmert. Deren Prinzip beruht auf der Funktionsweise der Zielfotografie beim 100-Meter-Lauf. Statt einer beweglichen Verschlußklappe besitzt die Linse der Zielkamera eine statische Öffnung. Die Belichtungszeit vergeht, indem der Film selbst an der Linsenspalte vorbeigespult wird. Auf diese Weise ist alles, was der belichtete Film abbildet, verschwommen. Mit Ausnahme der Läufer, die sich mit der Geschwindigkeit des transportierten Films fortbewegen.
Schemmert übertrug dieses Prinzip mit Hilfe eines Video-Digitizers auf eine elektronische Überwachungskamera. Eine Pixelspalte wanderte auf dem Monitor von rechts nach links. Steht der Betrachter ruhend vor dem Bildschirm wie vor einem Spiegel, in dem er sein Gesicht sucht, so erkennt er nur graue Streifen. Erst in dem Moment, da er verständnislos über diesen Unsinn den Kopf schüttelt, taucht am rechten Rand sein an den Rändern in Grau zerfließendes Gesicht auf und wandert nach links aus dem Bild. Überrascht hält der Betrachter den Kopf wieder still, um besser sehen zu können. Sofort ist alles wieder grau in grau.
Nur bewegte Gegenstände erscheinen scharf auf dem Schirm. Ein ungewähnliches Abbildungsverhältnis, das die Betrachter nicht selten zu einer Serie grotesker Hampeleien vor der Kamera bewog. Video wurde so zum "Spiegel mit Gedächtnis" (Flusser), allein die Bewegung des Betrachters/Betrachtens schrieb sich ein als wahrnehmbares Spiegelbild. Interpretiert man die von dieser Installation geforderte Notwendigkeit der körperlichen Bewegung als Symbol für den permanenten gedanklichen Fluß beim Betrachten eines (Kunst-)Gegenstandes und das nur in der Bewegung scharf erscheinende Bild als narzißtische Relation des Subjekts zum Betrachten, so kann man in dieser Versuchsanordnung die technologische Illustration dessen erblicken, was der französische Psychiater Jacques Lacan als "Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion" beschrieb.
Manfred Riepe in: Film & TV Kameramann März 92
u.a.:
Freiburger Videoforum
Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest
European Media Art Festival Osnabrück
5. VideoFest Berlin
Experimenta Melbourne


Marilyn

von Lilo Mangelsdorff und Wolfgang Schemmert
1996, interaktive Computerinstallation

Katalogtext KunstArt 1996:
Marilyn Monroe als Kunstfigur und als Ikone des Films - diese interaktive Installation bearbeitet den Mythos. Ihr Bild, das so viele Emotionen ausgelöst hat, wird nun vom Publikum in emotionale Bewegung versetzt, Schichten werden freigelegt bzw. neu verbunden. Marilyn als projiziertes elektronisches, digitales Bild reflektiert die Entwicklung des Films vom Zelluloid hin zum computergenerierten Film. Die Ikone Marilyn Monroe existiert weiter, aber ihr eigentliches Bild ist kohärent.

Die Projektion eines Videobeamers zeigt das Gesicht von Marilyn Monroe, es verändert sich als Reaktion auf die Bewegungen des Publikums. In einem Computer sind 24 verschiedene Porträtfotos von Marilyn Monroe gestapelt. Sie sind so aufeinander abgestimmt, daß sie beim 'Durchblättern' nach der Art des 'Daumenkinos' einen kurzen Film ergeben würden. Abweichend von der klassischen Kinoprojektion wird bei dieser Installation aber nicht bildweise, sondern pixelweise geblättert, das Gesicht wird als permanent aus den verschiedenen Teilbildern neu übereinander geschichtet. Die Bewegungen des Publikums im Raum werden von einer in Aufsicht angeordneten Videokamera registiert. Das Videosignal der Kamera wird vom Computer digitalisiert, einer Echtzeit-Bildanalyse unterworfen und als virtuelle Maske auf das jeweils sichtbare Marilyn-Bild übertragen. An solchen Stellen, an denen die Videokamera signifikante Bewegungen des Publikums registriert, wird der Marilyn-Film pixelweise transportiert. Je nach Bewegung des Publikums ist z.B. gleichzeitig der 10., der 2. und 15. Kader ausschnittweise sichtbar, die Schichten verfließen zunehmend und permutieren punktuell.

KunstArt '96, Bockenheimer Depot, Frankfurt